
AG Freiburg, Beschluss vom 10.07.2014, 32 Ds 650 Js 28598/14: Pflichtverteidigung bei erforderlicher Akteneinsicht
Beschluss:
Gem. § 140 Abs. 2 StPO wird Herr Rechtsanwalt Schneble der Angeklagten als Pflichtverteidiger bestellt
Gründe:
Aufgrund der besonderen Sachkonstellation im vorliegenden Fall ist die Mitangeklagte zu ihrer uneingeschränkten Verteidigung auf Akteneinsicht angewiesen. Aus dem Grund war ihr gem. § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen.
Anmerkungen:
- Im vorliegenden Fall hatte eine Hausdurchsuchung stattgefunden, bei der
Betäubungsmittel (Btm = Drogen) aufgefunden worden waren. Zwischen der Mandantin und dem Mitangeklagten war streitig, ob die Wohnung nur von der Mandantin oder von beiden gemeinsam bewohnt worden war. Als Folgefrage war zu prüfen, ob beide die Wohnung gleichermaßen genutzt hatten oder jeder ein eigenes Zimmer hatte. Um den Vortrag der Mandantin zu stützen und insbesondere, um Indizien für die Alleinnutzung eines bestimmten Zimmers durch den Mitangeklagten zu finden, war es für mich notwendig, das Protokoll der Hausdurchsuchung sowie dessen Auswertung durch die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft zu kennen. Hierzu war Einsicht in die Ermittlungsakte
erforderlich. Da die Gerichtsakte aber nur Rechtsanwälten, nicht aber den Angeklagten (oder anderen Verfahrensbeteiligten wie Zeugen oder Nebenklägern) im Original überlassen wird, war die Mandantin notwendig auf einen Verteidiger angewiesen. - Das AG Freiburg folgte mit diesem Beschluss der neueren Rechtsprechung des
Landgerichtes Freiburg. Dieses hat sich bislang nicht zu der Frage geäußert, ob die
erforderliche Akteneinsicht zwingend in der Kanzlei des Anwaltes erfolgen muss. Denkbar wäre auch, (zur Vermeidung einer Beiordnung) dem Angeklagten zu gestatten, die Akte unter Aufsicht auf der Geschäftsstelle des Gerichts einzusehen. Meines Erachtens wäre das aber kein sachgerechtes Vorgehen, denn der Angeklagte weiß im Zweifelsfall nicht, auf was er achten muss. Auch werden ihm nicht uneingeschränkt Kopien aus der Akte gefertigt. Die Notwendigkeit einer Akteneinsicht wird also auch zukünftig als Indiz für einen derartig komplizierten Sachverhalt zu werten sein, dass zwingend ein Verteidiger beizuordnen ist. - In einer ähnlichen Situation wurde ich in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Offenburg beigeordnet (AG Offenburg, Beiordnungs-Beschluss vom 02.07.2014, 3 Cs 203 Js 7047/13) Hier war ein Zeuge nicht zur Verhandlung erschienen. Daher ging es um die Frage, ob zur Vermeidung eines weiteren Verhandlungstermines die Aussage dieses Zeugen verlesen werden durfte, die er im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bei der Polizei gemacht hatte. Für eine solche Verlesung ist neben der Zustimmung der Staatsanwaltschaft auch die des Angeklagten erforderlich. Da dieser aber idR nicht beurteilen kann, welche Vor- oder Nachteile in seinem konkreten Fall eine solche Verlesung bringen kann, ist er in einer solchen Situation ebenfalls auf die Unterstützung eines Verteidigers angewiesen, der die Akte kennt.
- Normalerweise ist spätestens mit der Einreichung der Anklageschrift klar, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, dem Angeklagten also ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist oder nicht. Die Pflichtverteidigerbestellung kann jedoch auch bereits früher (während des Ermittlungsverfahrens) oder auch später erfolgen: Sowohl die Entscheidung des AG Freiburg als auch die unter 3. erwähnte Entscheidung des AG Offenburg ergingen erst während der Hauptverhandlung, weil erst zu diesem Zeitpunkt das Vorliegen der Beiordnungsvoraussetzungen festgestellt wurde. Der späteste Zeitpunkt, den ich für eine Beiordnung erlebt habe, war mit der Verkündung des Urteils: Da die Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussplädoyer eine so hohe Strafe beantragt hatte, dass die Voraussetzungen für eine Beiordnung auf einmal vorlagen, wurde ich auf meinen Antrag hin mit Verkündung des Urteils beigeordnet. Wie jede Beiordnung in der ersten Instanz
umfasste diese nicht nur meine bisherige Tätigkeit während der Verhandlung vor Gericht, sondern auch deren Vorbereitung und meine Beratung des Mandanten im
Ermittlungsverfahren.

AG Offenburg, Beschluss vom 13.03.2014, Bhg 632/14 Z: Einigungsgebühr bei Beratungshilfe durch Ratenzahlungsvereinbarung
- Auf die Erinnerung der Antragstellerin wird der Beschluss vom 13.01.2014 aufgehoben und die Rechtspflegerin angewiesen, die Vergütung des Rechtsanwaltes der Antragstellerin unter Berücksichtigung der nachfolgenden Gründe neu festzusetzen.
- Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Gründe:
- Eine Einigungsgebühr iSd Nrn. 2508, 1000 VV-RVG kommt nach Maßgabe von § 31b RVG auch bei einer Ratenzahlungsvereinbarung zustande, vgl. auch Mayer/Kroiß, 6. Aufl., 2013, § 31b Rn 5, zum Begriff der Zahlungsvereinbarung s. auch Nr. 1000 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG.
- Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 11 Abs. 4 RPflG, 6 Abs. 2 BerHG aF, 13 BerHG nF.
- Im vorliegenden Fall hatte die Antragstellerin verschiedene Forderungen, vor allem aus Schadensersatz- und Herausgabeansprüchen. Der Antragsgegner hatte ihr gegenüber alle Ansprüche zurückgewiesen, nach meiner Beauftragung durch die Antragstellerin aber doch eine umfassende Leistungszusage gegeben und lediglich um die Möglichkeit einer Ratenzahlung gebeten. Diese Vereinbarung hat das Gericht – anders als zuvor die Rechtspflegerin – zutreffend als Vereinbarung zur „Beseitigung eines Streites oder einer Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis“ angesehen, die die Einigungsgebühr gemäß Nr. 1000 VV-RVG auslöst
- Da es in der Beratungshilfe nur fest vorgegebene Gebühren gibt, die nicht vom
Gegenstandswert abhängen, findet § 31b RVG für die Ermittlung der Höhe der angefallenen Gebühr keine Anwendung. Diese in das RVG neu eingefügte Bestimmung war aber für das Gericht ein Beleg dafür, dass solche Vereinbarungen als Einigung iSd Nr. 1000 VV-RVG angesehen werden sollen. - Wenn die Einigungsgebühr einmal angefallen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Vergleich anschließend auch tatsächlich erfüllt wird.